Wie doch die elterliche Entscheidung, den gerade erwachsen werdenden Filius vom heimatlichen Paris ins ferne London zu schicken, das Leben eines Mannes verändern kann. Dort an der französischen Botschaft erlernte Laurent Garnier nicht nur das Einmaleins des Kellnerhandwerks, sondern wagte 1987 zur Hochzeit der großen Rave-Ära auch den Sprung nach Manchester. Anfangs mit den kruden Sounds von Hip-Hop und Electro infiziert, verfiel er bald ganz dieser neuen Musik, die aus dem fernen Amerika die britische Insel überrollte: HOUSE.
Nach einer erfahrungsreichen Zeit als Resident-DJ in der legendären Hacienda in Manchester kam er 1990 schließlich zurück nach Paris, wo der heute 30-jährige Laurent erst mal einen Plattenladen eröffnete. Beim französischen Major FNAC veröffentlichte Laurent Garnier insgesamt sieben EPs, darunter auch „A Bout De Souffle“ mit „Wake Up“, einer der Hymnen des Trance-Jahres 1993. Doch der sympathische Franzose wehrt sich vehement dagegen, mit seiner Musik in die Schublade Trance gesteckt zu werden. Kommerzielle Anbiederung war nie sein Ding, und so wurden die Folge-Releases „Planet House“ und „Lost in Alaska“ sehr deep und teils sehr moody. Und doch haben seine Tracks immer diese gewisse Funktionalität, die guten Basic-Trax zu eigen ist, indem sie bei Tageslicht ziemlich experimentell und gewöhnungsbedürftig klingen, aber um vier Uhr nachts in einem düsteren, strobo-durchzuckten Club den Dancefloor zum Erbeben bringen.
Entgegen der landläufigen Meinung waren es aber gar nicht mal musikalische Differenzen, die schließlich die Trennung vom Musikriesen FNAC bewirkten, sondern schlicht das liebe Geld: „Wir verließen FNAC aus dem einfachen Grund, weil sie finanzielle Schwierigkeiten hatten und weil sie nicht verstanden, was wir da taten. So gab es nur die eine Möglichkeit, dass wir woandershin gehen mussten, um wieder glücklich zu sein. Es ist so, als hättest du eine Beziehung zu einer Frau, mit der du den Sex nicht genießt. Dann wird es langweilig und der Zeitpunkt ist gekommen zu gehen. So verließen wir FNAC und gründeten F Communications.“ Er hat halt so seine eigenen Ansichten, unser Laurent.
F steht sinnigerweise gar nicht mal für France oder French, sondern ist eine typische Reaktion auf die Dinge, die ihn so maßlos ärgern. „Eric Morand und ich waren oft in England auf den großen Raves und sahen dort die vielen Kids, die T-Shirts mit einem großen E trugen. E für Ecstasy. Und das pisste mich echt an. Ich bin der Meinung, Drogen haben nichts mit Musik zu tun. Für diese Kids war ihre Droge wichtiger als die Musik.“ Der Buchstabe F soll für Verwirrung sorgen. Die Kids sollen sich fragen: Warum? Was soll das? F bedeutet schlicht, dass die Musik die gleiche Energie freisetzen kann, die vermeintlich in Ecstasy steckt. Und so wurde ein schlichter Buchstabe in einem Kreis Markenzeichen für ausgesprochen abwechslungsreiche und erst recht gute progressive Musik aus Frankreich.
Interessanterweise entstand die erste Veröffentlichung auf F Communication im Studio von Resistance D. in Zusammenarbeit mit Pascal FEOS, der ihm schon vorher zu einem engen Freund geworden war. Etwa zur gleichen Zeit machte ihn die musikalische Untermalung des zweiten X-Mix-Videos vom Berliner Studio K7 via MTV endgültig europaweit bekannt und mit „Astral Dreams“ und seinem komplett allein produzierten Album „Shot in the Dark“ bewies er auch den letzten Zweiflern, was in ihm steckt. Doch F Communications heißt nicht nur Laurent Garnier. Er und sein Partner Eric Morand haben gleich den gesamten Stall an Produzenten von FNAC übernommen. Und so steht F auch für eine bunte Vielfalt an verschiedenen Stilen: „Wir wollen kein Techno-Label oder House-Label sein. Die einzige Labelpolitik heißt: Musik, die wir mögen.“ Und so folgt auf den warmen Groove von St. Germains „Alabama Blues“, das zurzeit auf VIVA rauf- und runterläuft, halt die neue Scan X mit treibendem Acid und 150 bpm.
„Club Traxx EP“ heißt Laurents neuestes Release. Gewidmet ist sie dem Club in Paris, den er gemeinhin als sein Zuhause bezeichnet: Das REX, wo er jahrelang mittwochs die legendäre „Wake Up Night“ bestritt. Nachdem der Club sechs Monate lang geschlossen hatte, wurde er Ende letzten Jahres komplett renoviert wiedereröffnet. Mit einem bombastischen Soundsystem und einer „fucking amazing“ Lichtanlage, wie Laurent es ausdrückt, ist er wohl eine der genialsten Locations Frankreichs, wo es ja sonst nicht ganz so rosig aussieht. Denn während die wenigen Raves vorwiegend von althergebrachten Konzertveranstaltern organisiert werden, deren Qualität man sich damit ausrechnen kann, wird gegen viele Clubs unter dem Vorwand der Bekämpfung der Drogenkriminalität immer noch rigoros vorgegangen.
In Frankreich besagt ein neues Gesetz, dass, wenn in einem Club jemand wegen Drogenbesitzes festgenommen wird, der Veranstalter bzw. Besitzer des Clubs die gleiche Anklage zu erwarten hat wie der Festgenommene. Gleichzeitig ist es in Frankreich den Türstehern gesetzlich verboten, die Gäste dem sonst überall üblichen Body-Check zu unterziehen. Verkehrte Welt. Derartige politische Unsinnigkeiten sind Dinge, die den redegewandten Franzosen in Rage bringen.
Bei einem Gig Laurents Mitte Januar in einem Londoner Club starb ein Jugendlicher nach Drogenkonsum. „So etwas ist hart; das nimmt mich echt mit. Aber wenn ich mir dann die Reaktionen der Behörden anschaue, wie sie auf diesen Vorfall reagiert haben, könnte ich mich wirklich aufregen. Der Typ hatte die Pillen auf dem Parkplatz gekauft, und als er auf dem Weg zum Eingang des Clubs war, brach er zusammen. Die Leute an der Tür bekamen das mit und hatten Angst, dass er sterben könnte, und holten ihn deshalb in den Club, um ihm zu helfen, denn draußen war es arschkalt. Sie riefen die Polizei, und was macht die? Sie schließt den Club! Drogen sind das Problem einer Gesellschaft, nicht einer Musik. Ich nehme keine Drogen und habe immer laut gesagt, was ich über dieses Thema denke: DRUGS ARE KILLING! Aber wir sollten versuchen, einen intelligenten Weg zu finden, mit Drogen umzugehen. Wir leben nicht mehr in den Sechzigern, wo man es einfach verbieten konnte.“
Aufklärung über die Gefahren und Hilfestellung bei Problemen erscheinen Garnier unendlich nützlicher als schwachsinnige Verbote. Er weiß um die Perspektivlosigkeit vieler Jugendlicher, gerade in Frankreich, für die die wochenendliche Flucht in die faszinierende Welt der Drogen in Zusammenhang mit der pulsierenden Gemeinschaft auf einem Großrave die einzige Möglichkeit darstellt, ihrer sinnlos erscheinenden Welt aus Arbeitslosigkeit und Gewalt zu entfliehen. „Die Gewalt wächst zusehends, denn es gibt schlichtweg keine Arbeit und damit kein Geld zum Leben. Rassismus grassiert und noch eine ganze Menge anderer Bullshit. Wir werden bald ganz massive Ausschreitungen in Frankreich haben. Die Kids werden auf die Straße gehen und einfach alles kaputtschlagen. Das wird noch in einem unbeschreiblichen Desaster enden. Wir haben solch große Probleme in Frankreich, dass die Gewalt immer stärker werden wird, bis sie eines Tages eskaliert.“
Hört man Laurent Garnier reden, merkt man ihm an, dass er weiß, wovon er redet. Er ist sich bewusst, dass es heute nicht gerade einfach ist, Franzose zu sein, wenn man mit ansehen muss, wie der eigene Präsident die ganze Welt gegen sein Land aufbringt. Und doch macht er jedem klar, dass er und die Mehrheit der Franzosen den Irrsinn eines Chirac auch nicht begreifen. „In jedem Land gab oder gibt es derartige Idioten. Aber dafür kannst du nicht ein ganzes Volk verantwortlich machen. Ich habe nicht für diesen Schwanz gestimmt, kann aber auch nichts gegen ihn machen. Das Traurige ist nur, dass darüber Freundschaften zerbrechen. Schau dir die Australier an. Mit ihrem Boykott haben sie auch aufgehört, Platten aus Frankreich zu kaufen. Habe ich etwa auf den Knopf gedrückt? Was kann ich dafür? Ich finde, die Leute sollten offener sein und besser nachdenken. Klar, Chirac hat verschissen, keine Frage, aber glaubt ernsthaft jemand, dass dieser Mann frei entscheiden kann, was er tut? Chirac weiß ganz genau, dass er die ganze Welt gegen sich aufbringt. Und trotzdem tut er es. Ich weiß nicht, warum, aber er tut es. Aber was kann ich machen?“
(Es war schon recht ernüchternd, als die Nachrichten am nächsten Tag meldeten, dass auf dem Mururoa-Atoll ziemlich genau zum Zeitpunkt unseres Gesprächs die bisher größte Bombe gezündet wurde.)
Laurent Garnier sagt, was er denkt. Er lebt seine Popularität mit einer natürlichen Gelassenheit. Beim Auflegen oft verbissen wirkend, hat er doch in der nächsten Sekunde für jeden ein Grinsen übrig und zieht wilde Grimassen. Der good-looking Guy hat Spaß an seiner Arbeit, und er versteht etwas davon. Das wird honoriert; und zwar nicht nur von den vielen weiblichen Fans, die er hat und die schon mal ins Lamentieren ausbrechen, wenn er sich die Haare geschnitten hat. Er gehört zu den Wenigen, die auch in der Öffentlichkeit als ernstzunehmender Botschafter einer neuen Kultur akzeptiert werden. So machte Heike Makatsch mit ihrem Hausbesuch auf VIVA auch Station im Heimstudio von Laurent in Paris. Andere Gäste dieser illustren Interview-Reihe waren bisher zum Beispiel Herbert Feuerstein, Til Schweiger und Madonna. „Heike Makatsch ist ein sehr nettes Mädchen; sie ist sehr intelligent und weiß ganz genau, was sie da macht. Ich würde mich freuen, wenn ich sie mal wieder treffen würde, um mit ihr irgendwo was trinken zu gehen.“
Eigentlich ist Laurent auch nur einer dieser Jungen von nebenan. Er macht Musik, die mind-blowing ist. Er legt auf, dass die Leute ihn am liebsten nicht mehr gehen lassen wollen, wie neulich im Kasseler Aufschwung Ost geschehen, wo er mal eben eine viereinhalbstündige Zugabe hinlegte. Er liebt House und Techno und sucht privat doch lieber den Ausgleich in allen Arten von Musik, von Klassik über 50er-Jahre-Jazz und David Bowie bis hin zu Rockabilly. Er weiß, dass er mit seiner Musik die Welt nicht verändern kann, aber er weiß auch, dass Musik hilft, die Welt zusammenzuhalten. Wie ein französisches Sprichwort sagt: „Musik verbindet Generationen.“
Laurent und der Rest
Carl Cox
Er ist mein Big Boy. Er ist ein sehr guter Freund von mir.
Westbam
Ich kenne ihn leider nicht allzu gut. Ich habe ihn nur einige Male getroffen. Einer seiner großen Verdienste ist, dass er Mayday ins Leben gerufen hat.
Chemical Brothers
Oh, die sind wirklich nett. Ich mag die Jungs sehr. Und sie machen eine exzellente Live-PA. Ich respektiere sie sehr dafür, dass sie Techno und Electronic Music einen Schritt weitergebracht haben, gerade in Bezug auf die rockige Seite des Ganzen. Und das Tolle ist, dass jetzt plötzlich Rock-Fans anfangen, sich für unsere Musik zu interessieren. Und das ist schön.
Jeff Mills
Wohl einer der Besten. Mr. „Fast Cutting“-DJ.
Daft Punk
Definitiv einer der besten Live-Producer, die wir in Frankreich haben.
Moby
Hah. Ein sehr witziger Typ. Er macht recht verrückten Kram. Gewöhnlich mag ich seine Musik sehr, was auch immer es ist. Ich hoffte, er hätte sich ein wenig anders entwickelt, aber das ist halt Moby-Style. Aber ich respektiere ihn.
Emmanuel Top
Ich liebe den Track, der auf NovaMute von ihm erschien. Aber er sollte zum Beispiel am letzten Wochenende in Paris spielen, nur da der Veranstalter keine 909 für ihn organisieren konnte, hat Emmanuel den Gig platzen lassen. Da frage ich mich doch, wie dumm jemand sein kann. Wenn man irgendwo live spielen will, soll man gefälligst auch seinen eigenen Kram mitbringen. Man kann nicht vom Veranstalter verlangen, dass er einem 65 Keyboards bereitstellt. Ich verstehe nicht, wie er drauf ist. Ich habe ihn nie getroffen, und ich respektiere ihn wegen seiner Musik. Aber so etwas ist schon sehr enttäuschend. Wie kann man einen Gig absagen, bloß weil der Veranstalter keine 909 auftreiben kann? Wo findet man heute schließlich noch welche? Der Typ hat mich gefragt, aber ich habe auch keine. Und es ist wohl auch etwas, das man nicht an jemand anderen verleihen möchte. Für mich ist das wirklich ein saudummer Grund, einen Gig zu canceln.
Pascal FEOS
Er ist auch ein sehr guter Freund von mir. Ich mag ihn sehr. Ich nenne ihn immer meinen großen Teddybär. Pascal war einer der ersten, die ich in Deutschland kennengelernt habe. Wir haben auch schon gemeinsam produziert. Er ist wirklich ein verlässlicher und netter Freund.
Lenny Dee
Ich liebe ihn. Ich nenne ihn immer meinen lächelnden Schokoladenbuddha. Er ist ein wundervoller Mensch und ein außerordentlich guter Produzent. Ich bin nicht gerade ein Gabber-Freund, aber ich kenne Lenny und seine Musik schon seit vielen Jahren und habe großen Respekt vor ihm. Er und Carl Cox sind zwei meiner engsten Freunde.
Lyrics by Dirk The Weird Waltmann – Pics by Fränkie Fendler