Tanith – Herr der Partytöne

Aus Raveline 04/1995

Tanith ist ein Großer – ob als DJ, Mensch oder Freund: Der Vater des Camo-Looks hat sich bereits vor Jahren einen Logenplatz in der Riege der deutschen Top-DJs gesichert. Die Berliner Techno-Szene hat er seit ihren frühesten Anfängen im UFO-Club immer auch ton- und trendangebend mitbestimmt, ohne jedoch die Bodenhaftung zu verlieren. Auch heute noch, wo er kreuz und quer durch die Gegend fliegt und fährt, um den Leuten in- und außerhalb Europas mit seinem „Tanithstyle“ eine gute Party zu bieten, kehrt er sonntags gern wieder in seine Wahlheimat zurück, um mit Freunden das Wochenende durchzuquatschen, nochmal aufzulegen und im Studio herumzubasteln.

Wie viele gute DJs hat er im Lauf der Jahre eine Entwicklung durchgemacht: War er in den Jahren 91 und 92 für „Hardcore“ und „Tekkno“ bekannt, folgte danach „Breakcore“, was bald wieder von „Happy Hardcore“ abgelöst wurde, wie er es ’93 mit seinem Freund DJ Special im damaligen Sonntagsclub „Exit“ in Berlin aufgelegt hat. Musikalisch ist er also immer on the move, und das wird auch so bleiben.

RL: Stimmt es, dass Du zur Entspannung Heavy Metal hörst?
Tanith: Ja, völlig richtig, wenn das Wochenende vorbei ist, also so gegen Dienstag, da kann ich erstmal kein Techno mehr hören, da muss es dann Heavy Metal sein.

RL: Gibt es einen neuen Tanith?
Tanith: Na ja, den gibt es eigentlich immer, denn jeder DJ, der sich nur von einem Trend leiten lässt … also letztes Jahr fand ich z. B. viele Progressive-Sachen aus England ziemlich gut. Inzwischen sind die auch durchgegessen, das wiederholt sich alles. Immer wieder die gleichen Schemata. Als es neu war, war’s geil. Im Moment steh ich mehr so auf Rhythmus, wenig Melodie, mehr so experimentelle Rhythmus-Sachen, so mit Poly-Rhythmik. Was da unter dem 4/4-Beat liegt, damit kann man ganz interessante Sachen machen.

RL: Ist es vom Mixen her interessanter für Dich?
Tanith: Ja, es ist einfacher (lacht). Also so Progressive-Sachen sind tierisch schwer zu mixen, die haben eben die Flächen, die mal über 16 Takte gehen, mal über vier. Wenn du die ineinander mischst, das ist Scheiße, da kannst du höchstens cutten, dann die Stücke laufen lassen, wieder rüber und so. Die Rhythmus-Sachen kannst du dagegen ewig miteinander laufen lassen. Das ist eine andere Art von Trance, so Afrika-Trance, ohne jetzt diese Afrika-Rhythmik zu haben. Die haben ja auch hauptsächlich auf Rhythmen aufgebaut.

RL: Du bist ja am Wochenende, also am Freitag und Samstag, dauernd unterwegs. Am Sonntag hast Du bis Februar immer im Vereinsheim 1893 hier in Berlin aufgelegt, seit kurzem machst Du den Sonntag im Globus. Ist es die Liebe zur Heimatstadt oder ist Berlin doch noch mal was anderes, weil Du die Leute kennst?
Tanith: Ja, da gibt’s viele Gründe. Zunächst mal meine Posse, also meine engere Clique, damit die einen Raum haben, wo sie kostenlos reinkommen…

RL: Die können ja nicht überall mit Dir hinfahren!
Tanith: Das machen sie meistens aber auch noch! Dazu kommt noch, dass ich in Berlin am meisten Leute kenne und ich wohne ja nicht zuletzt auch in der Stadt, weil mir die Leute hier am angenehmsten sind. Und daher will ich natürlich hier auch auflegen. Ich finde es auch mit am nettesten, so auf’n Sonntag, nachdem jeder am Wochenende sein Ding erlebt hat. Ich leg’ halt auf, und wenn ich das nicht tue, dann quatsche ich mit den Leuten und man tauscht die neuesten Informationen aus. Es gibt aber auch ein paar andere Städte, wo ich praktisch schon wie zu Hause bin: Das ist Nürnberg ebenso wie Salzburg oder München und Frankfurt … Aber Berlin ist eben doch die Stadt, in der man wohnt, und wo man auch unter der Woche die ganzen Vibes mitkriegt. Von daher ist das schon was anderes. Du kannst hier ganz andere Sachen auflegen, ganz anders vorgehen. Westdeutschland ist ein anderes Kaliber als Berlin, doch mehr Techno, während Berlin eher House-infiziert ist. Den Leuten außerhalb Berlins fehlen einfach die drei Jahre von ’88 bis ’91.

RL: Du hast Dir in Deiner Wohnung ein eigenes kleines Studio eingerichtet und bist dort eifrig am Basteln. Gibt es denn was, das schon fertig ist oder bald fertig werden wird?
Tanith: Nee, das ist wie bei einem Maler, das dauert auch, bis so ein Bild fertig ist. Da gibt’s schon Sachen, die eigentlich fertig sind, aber das Grün da, das gefällt mir noch nicht…

RL: Ist noch nicht grün genug?!
Tanith: Ja, das lässt sich alles noch ein bisschen verbessern, da fehlt irgendwie noch der richtige Kick in diesem oder jenem Stück. Bei solchen Sachen bin ich Perfektionist, es muss mir hundertprozentig gefallen. Es ist eben schwer, dass einem ein Stück, das man 1000 Mal gehört hat, immer noch gefällt. Wenn das der Fall ist, dann ist es o.k.

RL: Die Sachen setzen sich dann so ein bisschen und entwickeln sich. Machst Du das alles alleine oder holst Du Dir doch auch mal jemanden dazu?
Tanith: Das will ich in Zukunft machen, wenn ich mich mit den Instrumenten gut genug auskenne. Mit dem Olli von Genlog werde ich auf jeden Fall was machen oder mit Pascal (F.E.O.S., die Red.) von Resistance D. Aber das wird erst sein, wenn ich den Leuten nicht mit der Bedienungsanleitung daneben sitzen muss, so: „Moment, ich hab’s gleich, gestern hatte ich’s doch noch, da hab’ ich die Taste gefunden …“. Erst dann kann ich mit den Leuten auch vernünftig zusammenarbeiten.

RL: Im Booklet zur nächsten Mayday wirst Du als „The Professor, The Progressor, The Predator!“ also als Professor, Vorreiter und als Raubtier bezeichnet. Hat Tanith Biss oder warum „The Predator“?
Tanith: Das soll auf den Film „The Predator“ bezogen sein. Da gehen sie auch noch von den Dreadlocks aus, die ja jetzt ab sind. Also von der Härte aus gesehen, die der Film ausdrücken soll, kann ich nur dahinter stehen. Das ist einer der besten Filme, die ich kenne.

RL: Worum geht’s in dem Film?
Tanith: Predator ist ein Schwarzenegger-Film. Es geht um einen Außerirdischen, der praktisch als Jäger auf der Erde wütet, den Leuten die Köpfe rausreißt, die Wirbelsäule hängt dann hinten dran und all sowas.

RL: Also Splatter, wo’s spritzt und schmurgelt. Was hältst Du denn von den Abgreifern Richtung „D(Tr)änen lügen nicht“?
Tanith: Das hat nichts mit dem zu tun, was ich mache. Auch was die Marusha macht, das ist eher Pop. Das hat nichts mit Techno zu tun, sondern wird nur von der Industrie in dieses ganze Techno-Ding eingeschleust. Das ist genau wie in den Achtzigern mit der Neuen Deutschen Welle. Da gab’s ’80 richtig coole Sachen, z. B. von Palais Schaumburg, später wurde das dann zur Volksverblödung. Und genau dasselbe passiert eben mit Techno auch. Wenn die Leute ein bisschen schlau sind, dann treten sie dieser Industrie mal kräftig in die Eier und zeigen denen, dass das ihr Ding ist und dass sich die Industrie da nicht reinzusetzen hat. Die greifen sowieso nur die Kohle ab, steuern aber nichts bei.

RL: Auf der Mayday beispielsweise legst Du ja dann mit solchen Leuten auf. Wirst Du auch sonst öfter mal für einen Rave gebucht, wo alles so in einen Topf geworfen wird?
Tanith: Mayday ist immer noch was anderes. Ansonsten ist das Dumme, dass Du das vorher nicht so mitkriegst. Wo ich’s merke, sag ich dann auch ab. Vor einiger Zeit sollte ich in Hannover zusammen mit Scooter auflegen, da hab’ ich dann auch gesagt: „Entweder Scooter oder ich“, das haben sie dann auch gemacht, und Scooter war raus. Dann war ich in Schwerin, und dann krieg ich plötzlich mit, dass Interactive vor mir auflegen…

RL: Können die das denn?!
Tanith: Na ja eben, die können eher aufleben als auflegen! Das war Scheiße, ich war wirklich kurz davor, nicht aufzulegen. Aber die Leute haben den Eintritt bezahlt und alles, dann hab’ ich eben trotzdem aufgelegt. Diese ganzen Sachen haben sicherlich ihre Existenzberechtigung, es gibt genug dumme Leute, und die sollen sich das dann zusammen mit East 17 und Two Unlimited (oder Two Untalented, wie sie mitunter auch genannt werden, die Red.) ’reinziehen. Das dann zusammen mit Mark OH, das ist o.k. Da hab’ ich auch nichts gegen. Dass dann aber versucht wird, die Credibility von anderen Leuten mit einzuheimsen, das ist nicht drin.

RL: Würdest Du sagen, das ist hauptsächlich die Schuld solcher Veranstalter?
Tanith: Ja, zu 90 Prozent auf jeden Fall.

RL: Es gibt im Moment leider auch sehr viele Köche, die den Brei etwas verderben, jeder will ein Stück von der großen Rave-Torte abhaben…
Tanith: Das ist auch genau der Grund, warum ich so große Raves eigentlich gar nicht mehr mache. Man steckt da nie so richtig drin, und dann steht man eben vor vollendeten Tatsachen. Wenn ich veranstalten würde, hätten solche Leute bei mir gar keine Chance, die sollen sich woanders austoben, da gibt’s genug Großraumdiscotheken, wo sie sowas machen können.

RL: Was ist an diesen Mega-Events wie Rave City oder auch der Mayday für Dich das Schlimmste?
Tanith: Das Schlimmste ist, dass man diese großen Sachen gar nicht alle in einen Topf schmeißen kann. Die Universe in München z. B. war richtig geil. Das waren genauso viele Leute, aber ein ganz anderes Flair. Die Dortmunder Mayday letztes Jahr auch, das war einer der besten Raves, die ich je erlebt habe. Die in Berlin dagegen war absolut schlecht.

RL: Woran lag’s Deiner Meinung nach?
Tanith: Weiß ich auch nicht. Sicherlich an der Deutschlandhalle und auch daran, dass es über zwei Tage hingezogen wurde, und dann war’s an beiden Tagen nicht richtig voll. Vielleicht auch am Konzept, das ich schon etliche Male für tot geglaubt habe. Dann denkt man wieder, na ja, es kann ja doch noch funktionieren.

RL: Auf welches Event freust Du Dich besonders, wo Du doch jedes Wochenende on the road bist und schon so viel gesehen hast?
Tanith: Das Geilste, was jetzt im Mai kommen wird, veranstalten die Partysanen aus München. Das ist eine einwöchige Kreuzfahrt rund um Griechenland, und jeden Abend legt man eben irgendwo auf. Da bin ich dabei, das wird bestimmt richtig gut. Das ist mal ein neues Konzept, auch nicht überteuert, sondern kostet für eine Woche um die DM 1000,-.

RL: Hast Du mal in Japan aufgelegt, das soll ja inzwischen ziemlich gut sein?
Tanith: Nee, noch nicht, würde ich aber gerne. Da, wo die ganzen guten Videospiele und -filme herkommen, das wäre geil!

Pia Hohnhaus