„Steel“, der eine lange Track auf Mille Plateaux, dachte seit Mitte der achtziger Jahre stagnierende Industrial- und Noise Konzepte genial weiter, und das Resultat „Steel“ CD traf damit den Nerv vieler Hörer an der richtigen Stelle. Kindheit. Schönheit. Schmerz. „For You“ ist der Titel des neuen Speedfreak Doppelalbums auf ShockWave. Hardcore. Der Mensch der hinter diesen und einer Unmenge anderer Pseudonyme wie Biochip C., Subsonic 808 oder Bio-Breaks steckt, heißt Martin Damm. Der siebenundzwanzigjährige Kaiserslauterer hat es, wahrscheinlich über diese eigenartige Producer/Remixer-Multiphrenie und seinen immensen Output auf diversen Labels, in fast jede DJ Box geschafft. Industrial, Jungle, Techno oder House, stilistisch hat er alles drauf, dennoch schlägt in seinem Herz eine fette Gabba-Bassdrum. Der Biochip als Synonym für mögliche Mensch/Maschinen Schnittstelle, C. wie der Cyborg. Ein mitternächtliches Interview mit dem Erfinder der kybernetischen Subfrontation war schon lange fällig. Et Voila:
Raveline: High Martin. Alles klar bei Dir in K-Town ?
Martin Damm: Sicher. Ich hatte zwar eine ziemlich stressige Woche, aber die neue Speedfreak LP für ShockWave ist am Wochenende doch noch fertig geworden.
RL: Irgendwie bist Du ja der „Hardest Working Man“ der deutschen Producer Landschaft. Als Biochip C., Speedfreak oder Search and Destroy wirfst Du ja fast wöchentlich neues Material auf den Markt. Wie fing das denn alles bei Dir an, mit dem Techno-Virus?
MD: Naja, ursprünglich komme ich aus der konventionellen Disco-Szene. Da gab’s noch richtige Pop-Musik. In den Achtzigern habe ich mir auch ziemlich viele Platten von Leuten Erasure, Depeche Mode und Yello geholt. Die Pet Shop Boys waren ’ne zeitlang einfach die Größten für mich! Als dann über Frankfurt mit dem Talla 2XLC im Dorian Gray dieser noch sehr belgisch angehauchte Technozug ins Rollen kam, habe ich dann auch Lust gekriegt solche Sounds zu machen. Mit ein paar Geräten fing es an. Ein Sampler, Drumcomputer und ein paar Synthesizer. Als Biochip C. hab ich meine ersten Tracks auf verschiedenen kleinen Labels wie 2Face oder Suck me Plasma ‚rausgebracht, und als dann der Achim so ’90 ‚rum sein Force Inc. Teil machen wollte war Biochip C. natürlich sofort dabei. Die ersten Tunes waren noch sehr trancy, Eurobeat beeinflusst, aber im Laufe der Zeit habe ich mich davon schnell gelöst, und meine eigene Stile entwickelt.
RL: Hast Du eigentlich eine richtige Musik Ausbildung genossen?
MD: Frag mich bloß nich‘ nach diesen acht furchtbaren Jahren Klavierunterricht die mir meine Eltern aufgezwungen hatten. Klassische Musik! Ich hab’s gehasst, aber doch durchgezogen. War froh als es vorbei war. Ich bin dann halt in meinen eigenen Medien Kosmos gestürzt. Inzwischen bezeichne ich mich selbst als einen „Otaku“.
RL: Was ist denn ein „Otaku“?
MD: Kommt aus der Manga-Culture. „Otaku“ ist ein japanisches Wort für Leute, die sich mit ihren Computern und Soundsystemen völlig von der normalen Umwelt abkapseln und in ihrer virtuellen Welt leben. Wird dort eher abfällig gebraucht, weil solche Medien-Junkies nicht in den kontrollierten Ablauf passen. Driften ab, isolieren sich von den anderen. Diese Cyberpunx werden immer mehr. Ich find’s gut, denn eigentlich mach‘ ich auch nix anderes als neue Mangas gucken, Nintendo spielen, am Computer Musik oder Bilder programmieren und ab und zu was kiffen. Hier in Kaiserslautern ist sonst sowieso nicht viel los.
RL: Eine Menge Raver glauben, daß der Speedfreak tonnenweise Amphetamine nimmt…
MD: So’n Quatsch. Der Speedfreak steht auf schnelle, pumpende Bassdrum und eher auf tonnenweise obskurer Samples aus meiner Plattensammlung. Das Projekt ist nämlich als meine Antwort auf die Euromasters und Rotterdamm Records und so damals auf Walker’s Monotone Label erschienen. Ich hab für Monotone und D.Jungle Fever ’ne Menge Scheiben gemacht, die ersten Search and Destroy und Speedfreak Geschichten sind da rausgekommen. Phase IV. Die allerersten Subsonic 808 sind auch dabei gewesen, aber zunächst haben die Hardcore-Gabba Sachen eingeschlagen. Obwohl wir uns über den holländischen Sound nur ein bischen Lustig machen wollten, haben mich dann nach der „ Sonic Mine E.P.“ einige Veranstalter für diese großen Gabba-Parties gebucht. Da hab‘ ich gesehen, was das eigentlich für eine Szene ist. Unglaublich Apokalyptisch war das. The Power of Extasy. Wenn ich an die Rot-Kreuz Pillen Qualitätstest-Stände denke, hahaha. Bassdrum rauf und runter, bei ohrenbetäubender Lautstärke, die ganze Nacht. Das hat schon was. Aber was Drogen angeht, bin ich sehr vorsichtig. Klar, ich rauche regelmäßig Haschisch oder Grass. Demnächst wollte ich mich auch auf der Pferdekoppel hier in der nähe nach Psilocybin-Pilzen umschauen, aber was Amphetamine wie Speed und Extasy angeht, da bin ich straight. Die Maschinen halten mich schon wach genug, da werde ich mir doch nicht diesen Dreck in meinen Körper laden.
RL: Sind Projekte wie Subsonic 808 oder Steel die andere, sanfte Seite von Martin Damm?
BC: Wie schon gesagt, mag ich eben immer alles mögliche. Bei Subsonic 808 kann ich zum Beispiel meinen alten Disco-Tick ausleben. Spank ist ne lustige Platte geworden, mit vielen Rare-Groove Samples. Die Kinky Bros. auf Force Inc. US habe ich auch gemacht, die ist noch Old-Schooler als Subsonic 808, das ich ja zunächst als poppiges Electro Teil gedacht hatte, je sein könnte. Steel ist etwas ganz besonderes. Der Bleed hat in der Spex eine gute Kritik geschrieben, Steel ein wenig in die Richtung von „Der Plan“ geschoben. Steel ist ein Experiment, meine ganz persönliche Filmmusik. Bei den Hardcoreplatten komprimiere ich die Samples zu diesen dichten Mustern. Steel greift die Samples und spielt vielleicht mehr herum und hört ihnen aufmerksamer zu. Hardcore-Ambient-Industrial. Noise zum entspannen. Was meine Discografie angeht, meine ich, das alle meine Platten schon irgendwie zusammengehören, verschiedene Projekte, aber nur ein Gehirn dahinter. Inzwischen habe ich fast einhundertfünzig Veröffentlichungen, wenn da alles gleich klingen würde, das wär schon komisch, oder?
RL: Du verteilst deine Releases sehr geschickt auf die verschiedenen Labels. Die Zusammenarbeit mit Monotone und D.JungleFever hast Du abgebrochen, trotzdem bringst Du auf einigen Labels Platten raus.
MD: Im Augenblick läuft das doch ganz gut. Die Search and Destroy erscheinen bei Mokum, Biochip C. und Subsonic 808 sind auf Force Inc., Steel auf Mille Plateaux, Bio-Breaks sind für Riot Beats und der Speedfreak ist bei meinem Lieblingskinderle, meinem eigenen Label ShockWave. Richtig geiler Hardcore ist eben mein persönlicher Kick, Tatsache! Auf ShockWave kann ich alles selber gestalten. Vom Tracklisting bis zum Labeldesign, alles selber kreieren. Ich geb’s zu, ich bin ein Egomane, ein Otaku halt. Auch wenn das einige vor den Kopf stößt. Gerade was Plattencover angeht, sahen die bei den anderen Firmen nicht gerade so aus wie ich mir das vorgestellt hatte. Selbst bei der Steel hätten sich die von Mille Plateaux vielleicht was cooleres einfallen lassen können, aber was soll’s. Bei ShockWave mach‘ ich es nach meiner Nase. Sowas wie eine eigene Independent-Philosophie zu haben, das Produkt, die Schallplatte auf allen Ebenen selbst bestimmen, das ist wichtig. Und immer die eigenen Vorstellungen durchsetzen und wenn es sein muß auch ein langes Stück gegen den Strom schwimmen. Wo Reibung ist, da ist Wärme. Und Wärme ist Energie. Die Holländer beispielsweise machen sowieso in letzter Zeit immer mehr Kommerz, das schlimmste Beispiel für verkommerzialisierung von Gabba ist die Sache mit Paul Elstak. Luv You Baby, hahaha. Da muß man ‚was dagegenhalten, echten Hardcore, noisy, brutal, sezierend damit das nicht auf einmal abflacht, ernsthaft. Geistesverwandt scheinen mir eher die Amis von Industrial Strength oder Drop Bass Network Ausserdem gibt’s noch das Single Label Agent Orange und das Schwermetall-Geschoß Napalm, hier in Kaiserslautern. Ausser meinen Sachen erscheinen dort auch Tracks von Bekannten wie E-de Cologne oder Synthetic Anarchist. Demnächst mache ich zum Beispiel eine Platte mit dem Bazooka aus Bottrop. Die wird auf ShockWave kommen.
RL: Als echter „Otaku“ experimentierst Du bestimmt auch mit Fernsehen oder Film ?
MD: Damit fange ich im Augenblick an. Ich habe mir eine komplette Beta-Cam Ausrüstung, also Kamera mit Digitalen Schnittplatz angeschafft. War ganz schön teuer, aber es wird sich über kurz oder lang auszahlen. Ich bin halt ein totaler Medien-Junkie. Die ersten Ergebnisse werden als Videos für die nächsten Force Inc. und ShockWave Singles von mir auf MTV und VIVA laufen. Coole Hardcore-Videos. Das macht eine Menge Spaß, das Medium Film Besonders bei krasser Musik wie meinen ShockWave Tracks muß man eine neue, entsprechende Bildsprache entwickeln, um den Sound so konsequent wie möglich auch als Video Clip ‚rüberzubringen. Biochip C. taucht sozusagen in Phase IV ein. Die Clips muß man einfach angucken, jetzt darüber reden bringt nichts.
RL: Möge die Macht mit Dir sein, Martin.
MD: Gleichfalls. Ich werd‘ wohl noch ein bischen am Computer spielen. Bis demnächst, gute Nacht!
J. S.