Tom Wax – Der reine Wahnsinn

Aus Raveline 12/1995

It’s Our Future war der absolute Sommer-Breaker dieses Jahres. Der Acid-Somper auf der kleinen 10″ auf Plastic City war von kaum einem Dancefloor wegzudenken, und ließ Raver und Clubber die Arme gleichermaßen in die Luft reißen und YEAH! schreien. Zusammen mit Thorsten Adler bildet er aber nicht nur AWeX – sondern auch MICROBOTS, ARPEGGIATORS, PSYCHO DRUMS, BRAIN-E und noch gleich einen ganzen Sack voll anderer Projekte dazu. Auf seinem Label PHUTURE WAX bringt er vor allem Musik heraus, die er und seine Freunde in Lust&tLaune-Sessions zusammengejammt haben, Dazu gehören dann z.B. TOJA mit Jan Friedrich und WAX SCIENTISTS mit Norman Feller. Mit diesem gibt es auch gleich noch das Projekt DJ TOM & NORMAN auf Overdrive. Das ist zwar alles schon eine ganze Menge Holz für den erst 22-jährigen Thomas Wedel, beschreibt aber trotzdem nur einen Bruchteil seiner Aktivitäten. Daß sein Track Pure Madness auf Talla 2XLCs Tetsuo-Label dazu noch den genialen Soundtrack unserer RAVELINE-WERBESPOTS bildet, ist erst recht Grund genug für uns, den erfolgreichen Workaholic zu einem Interview zu bewegen.

1990, da war die Welt noch in Ordnung. Ein Rave hieß schlicht Techno-Party, und Being a DJ war noch etwas besonderes.

„Als ich anfing, Musik zu machen und aufzulegen, da gab es noch längst nicht so viele DJs, inzwischen aber hat jede Bauerndisco ihren eigenen DJ Tom, der sich selbst massiv hyped, und das hat mir schon ziemlich gestunken. Immer wieder haben mich Leute angesprochen, daß ich irgendwo in so einem Kaff aufgelegt hätte, und ich wußte davon leider überhaupt nichts. Darum jetzt Tom Wax – Wax ist irgendwie Slang für Vinyl und das paßt schon.“

Selbstbewußtsein demonstrieren und sich Abheben von der Masse, im Techno-Biz heute natürlich wichtiger denn je. Eigentlich hätte der Werdegang des jungen Thomas aus dem hessischen Darmstadt jedoch auch ganz anders aussehen können:

„Daß ich irgendwann mein Geld mit Musikmachen verdienen werde, konnte ich mir vor zehn Jahren noch überhaupt nicht vorstellen. So bis ich 16, 17 war, habe ich fast nur Tennis gespielt, und Musik höchstens nebenher gemacht. Da hätte ich schon eher daran gedacht, einmal Tennisprofi zu werden. Doch irgendwann wurde das alles von der Musik verschlungen. Die Liebe dazu war eigentlich schon immer da, und dann kamen der Wille und die Entschlossenheit dazu, und deshalb bin ich jetzt auch da, wo ich bin. Was wäre ich sonst geworden? – Was mich schon immer sehr gereizt hat, ist Promotion, Werbung – Die gesamte Werbebranche ist eigentlich das, was ich auch noch sehr interessant finde. A er heute mache ich halt nichts anderes als Musik. Ich lebe dafür und lebe davon, und stecke da auch alles rein.“

Die Initialzündung für elektronische Musik kam eigentlich durch – und diesmal ist ausnahmsweise nicht die Rede von der ultimativen Kraftwerk-Experience, dem alles durchdringenden House-Vibe oder dem legendären Summer of Love ’89 – Nein, es waren THE ART OF NOISE, die oft vernachlässigten Meister der elektronischen Klangkunst.

„Art Of Noise habe ich total bewundert, vor allem auch ihren Produzenten Trevor Horn – ein Künstler, der mich schon immer inspiriert hat und den ich auch sehr, sehr schätze. Wen ich sonst noch immer bewundert habe, ist CJ Bolland. Seine Musik finde ich absolut geil, sie ist innovativ und hat diesen Energy-Touch, mit dem ein Track einfach gut nach vorne geht. Aber es gibt noch mehr: William Orbit ist zum Beispiel ebenfalls genial und sehr inspirierend. Wen ich sonst noch sehr schätze, ist Mijk van Dijk. Von Mijk und CJ werden Anfang nächsten Jahres auch absolut hammermäßige Remixes von der neuen DJ Tom Et Norman 12″ die am 20.11.95 auf Overdrive herauskommt, releast werden – ein langgehegter Wunsch von mir.“

Ein weiterer Wunschtraum wäre, mit einem akzeptablen Underground-Track zu charten, und eine Goldene Schallplatte zu ergattern. Mit „It’s Our Future“ wäre es fast so weit gewesen, und hier hätte kaum einer sagen können, daß bei der Platte marktfördernde Kompromisse eingegangen worden wären. Es gibt zwar schon eine Goldene im Schrank von Thomas und Thorsten – ein Sparks-Titel, bei dem von Anfang ein Remix der beiden mit auf der Platte war – aber das ist es halt nicht ganz. Daß dieser Wunsch nicht unerfüllt bleiben muß, daran arbeitet der Youngster mit allen Kräften.

„Mit AWeX haben wir jetzt ein Album mit sehr unterschiedlichen Titeln gemacht, das wahrscheinlich im Frühjahr releast werden wird, aber hier ist in Bezug auf Majors auch noch nicht das letzte Wort gesprochen. Gerade ist ja auch erst die neue Maxi Back On Plastic draußen. Auch Microbots werden wir auf ieden Fall wieder machen, aber da wird es auch auf jeden Fall erst im nächsten Frühjahr etwas Neues geben. Das wird stilistisch etwas ganz anderes als bisher werden – Laßt euch überraschen! Von den Arpeggiators wird natürlich auch wieder etwas kommen – aber wie und wann und bei wem, das ist alles noch recht ungewiß. Wir werden nach einem passenden Label suchen, nur Harthouse ist es definitiv nicht mehr. Der Vertrag ist ausgelaufen und auch musikalisch ist das zu weit auseinandergegangen. Ansonsten – bei Talla auf Tetsuo habe ich diese Wax Trax gemacht (Watch out for the Raveline Jingle! d. Red.). Davon wird es auf jeden Fall auch eine zweite geben. Die Fanatic Cracks auf Fire mit dem Urs Krämer zusammen gibt es ja auch noch – wobei ich mich da allerdings eher als Produzent sehe, als daß ich mich da besonders musikalisch einbringe. Das sind halt keine Sachen mit sonderlich innovativen Charakter, sondern Tracks, die einfach nur nach vorne gehen.“

Langweile ist also nicht gerade angesagt im Hause Wedel, denn neben den eigenen Projekten, gehen bis dato auch noch knapp fünfzig Remixe auf sein Konto. Dazu werden antürlich auch die eigenen Titel von Kollegen neuinterpretiert, was allerdings nicht immer auf ungeteilte Freude stößt.

„Gerade zu It’s Our Future‘ hat es ja nun eine ganze Menge Remixe gegeben, da kommen jetzt auch noch mal neue Mixe auf Plastic City USA. Da hat der Jerome in New York den Blake Baxter gefragt, und der hat einfach Bock gehabt und zwei Mixe abgeliefert. Und dann hatte er noch eine qute Idee, und da waren es plötzlich drei. Darauf haben wir dann aber auch gar keinen Einfluß mehr. Mir persönlich gefallen diese Mixe nämlich nicht so unbedingt: ich finde sie vom Sound her schon arg übel. Die Ideen, und wie er daran herumgebastelt hat, sind zwar ganz nett, aber da gibt es bereits bessere Remixe. Ich schätze mal, ich habe die Platte genauso gekriegt wie viel andere, als Weißmuster, und dachte nur, ‚Ups, Blake Baxter Remixe???‘ Mir haben die Re-Remixe auf der zweiten 10* (die orange) – die auch sehr housig waren einfach besser gefallen. Auf der England-Pressung von PWL zum Beispiel, da gab es einen Mix, zudem hätte ich nie mein Einverständnis gegeben, so schlecht war der. Aber da kann man halt nichts machen.“

Produzieren ist die eine Seite, DJ und Live-Act eine weitere…

„Ich bin halt auch immer viel als DJ oder auch mit AWeX als Live-Act unterwegs, das ist so das Wochenendprogramm. Der Alex von Plastic City ist da ein Idealist, der würde aus uns am liebsten so etwas wie The Prodigy machen – vom Kultstatus her – aber das wird wohl gerade hierzulande sehr schwer sein. Das kriegen wohl nur die Ausländer hin, die halt auch irgendwie gehyped werden. Ich weiß zum Beispiel nicht, was an einem Typ wie Goldie so außergewöhnlich ist außer seinen Zähnen… Gerade mit den ganzen Amis ist das auch so ein Ding. Was mich daran stört, ist einfach, daß die so als die Götter hingestellt werden, dabei ist da oft gar nicht so viel Tolles dran. Die setzen sich hin, benutzen minimales Equipment, machen einen Sound, der sich anhört, als hätten sie ihn auf ihrem Klo gemastert, aber sie haben halt ihren super Underground-Status und sind einfach cool und absolut hip. Es gibt sicherlich ein paar, da würde ich auch sagen, die gefallen mir echt gut. Aber gerade der ganze Ami-Hype; die sind hier alle so big, dabei will die in Amerika keine Sau hören. Das ist einfach Fakt. Es gibt nur wenige US-DJs, die drüben überhaupt auflegen und sind aber hier jedes Wochenende. Und mir erscheint es dann bei vielen Produktionen oft unerklärlich, warum die Leute das so toll finden. Das ist einfach der Vorteil. den die Ausländer bei uns haben: aber ich denke, das ist auch andersrum genauso.“

Der Prophet gilt halt nichts im eigenen Lande…

„Wenn ich irgendwo spiele, kann man von mir alles erwarten. Außer Hardcore &t Jungle spiele ich fast alles, auch mal eine Stunde nur guten House. Jungle finde ich zwar innovativ und geil, aber ich könnte es einfach nicht auflegen. Chemicals Brothers finde ich trotzdem einfach nur klasse. Und die „Mole People“ von Armand van Helden zum Beispiel war eine der geilsten Platten diese Jahr. Ich persönlich mag eigentlich vor allem innovative Musik aber dennoch irgendwie catchy sein muß. Das können 180 bpm sein, das können auch nur 120 bpm sein. Es kann cool, es kann hart sein – whatever. Ich entscheide einfach aus meinem Bauch heraus und versuche mich in keinster Weise in der Musik einzuengen, die ich auflege. Manchmal passe ich mich natürlich auch an die Location an. Im Club wirst Du von mir alles hören, auf einem größeren Rave erwarten die Leute halt vor allem, daß es nach vorne geht. Die wollen nur Stimmung und das was abgeht; da kann man mit den eben genannten Platten gar nicht kommen, die verstehen die Leute auch einfach gar nicht. Das beste Beispiel ist Hamburg. Das hat mich echt so frustriert. Da waren wir mit AWeX und haben live gespielt, und die Leute dort raffen wirklich nur 16tel Programm mit 170 Beats und haben uns überhaupt nicht verstanden. Aber ich habe mir dann einfach gedacht, daß ist mir jetzt echt egal, ich versuche jetzt hier mal was anderes zu bieten. Und die Leute haben gedacht, ‚Was ist denn mit dem los‘, nur ich hab echt die Nase voll gehabt. Die Leute sind einfach so engstirnig, und das ist auch das Problem, das ich da sehe. Mein Stil ist einfach „Phuture Wax Style“ – Phuture wie Zukunft und Wax – halt Schallplatten, die ich irgendwo geil finde.

Das denkt Tom Wax über

FRANKFURT/MAIN
Ich habe zwei Jahre im Techno Club im Dorian Gray aufgelegt, und da sollte ich eigentlich loyal sein – ich habe zwar nichts gegen Frankfurt, aber bin schon recht froh, daß ich nicht direkt dort lebe.

SVEN VÄTH
Kult. Auch für mich so eine gewisse Zeit im Omen, wo ich gesagt habe, der ist der Oberhammer. was seine Produktionen angehen, kann man darüber streiten, aber als DJ absolute Klasse, der immer noch Platten spielt, die ich geil finde und vorher noch bei keinem anderen gehört habe.

MAYDAY
Dort spielen wir als Fanatic Cracks im Dezember. Und dieses Mal hier in Frankfurt freue mich natürlich besonders. Zum zweiten Mal bin ich jetzt dabei und dann noch ein Heimspiel, das ist schon toll. Mayday war für mich immer etwas besonderes und wird das auch immer bleiben.

POLITIK & MUSIK/TECHNO
Musik ist für mich in erster Linie Entertainment und soll nicht unbedingt auch noch belastend sein. Die Leute, die die Musik hören, sollten eigentlich ein bißchen politischer sein. Da ist das Kosnum-Niveau teilweise doch recht niedrig. Aber in der Musik politische Themen zu verarbeiten, halte ich für Käse.

DJ- & LIVE-ACT-GAGEN
Sind extrem hochgegangen. Der DJ ist zum Pop-Star avanciert. Von der Größe der Party sollte auch das Gehalt für den DJ abhängen, weil der DJ der ist, der die Stimmung macht, der die Party schmeißt. Und wenn einer gut ist soll er auch das Geld dafür bekommen. Manche DJs sind halt klar überteuert, nur die sind halt so bekannt, daß die Leute wegeh ihnen kommen, nur ob die jetzt als DJ wirklich so toll sind…

TECHNO ’96
Schwer zu sagen. Ich finde es schade, daß viele Produzenten heute nur noch Musik machen die fast nur zuhause hörbar ist und gar nicht mehr wie früher Tracks, die einfach nur abgehen. Man kann doch immer noch geile Club-Tracks machen, die die nötige Energy haben, die ich bei vielen aber zur Zeit vermisse. Ich hoffe, daß sich im nächsten Jahr wieder ein paar Leute besinnen, und die Musik wieder mehr nach vorne geht. Ich habe mir früher sauviele Platten gekauft, und das ist in letzter Zeit echt verdammt wenig geworden.

Die Raveline sagt vielen Dank!

wordz by dirk „the weird“ waltmann