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Und wieder schlagen wir ein neues Kapitel der unendlich anmutenden Geschichte Detroiter Techno-Produzenten auf, das aber eigentlich doch nicht so neu ist, wie es dem einen oder anderen vielleicht erscheinen mag. Denn am meisten überraschen den aufmerksamen Musikfreund doch immer wieder diese kleinen Links und Querverbindungen, die man auf den ersten Blick gar nicht vermutet hätte.
Dass Trackmaster Lou aka Scan 7 Mitte der Achtzigerjahre mit der Disco-Funk-Band Was Not Was Charthits produzierte – wir erinnern uns vielleicht an „Walk The Dinosaur“? – hätte ich in diesem Zusammenhang jedenfalls nicht vermutet. Fällt bei seinem späteren Output auf Underground Resistance und vor allem in Anbetracht des aktuellen Albums auf Tresor auch irgendwie schwer zu glauben. Wo wir gerade bei Querverweisen sind: Der Was-Not-Was-Episode folgte 1988 ein Projekt namens „Separate Minds“ mit zwei Menschen namens MK und Terrence Parker. Detroit zur Hochzeit der ersten Techno-Revolution halt. Nach einer EP auf dem Detroiter Label Express Records trennten sich die Wege der drei allerdings wieder.
Mark Kinchen produzierte typischen Detroit-Techno und sollte später mit den Nightcrawlers für kurze Zeit Weltruhm im House-Pop-Sektor erlangen, während Terrence Parker mit eigenem Label Intangible und als wirbelnder House-DJ im Jeff-Mills-Stil von sich reden machte. Für Leslie Robinson aka Trackmaster Lou blieb das Musizieren jedoch weiterhin eine reine Nebenbeschäftigung. Für seinen Lebensunterhalt verdingt er sich auch heute noch als Koch.
Anfang der Neunziger beschäftigte sich Lou dann mit den eher deepen, moody Technohouse-Klängen, und irgendwann gründete er sein eigenes Label „Direct Hit“. Ein Vertrieb war schnell gefunden: Submerge ist und bleibt eben die Posse mit dem größten Einfluss in Motor City. Aber auch Mastermind Mad Mike Banks zeigte schnell Interesse an Lous Sound. Die Folge war die erste Scan7-EP auf dem Underground-Resistance-Label (UR-027). Vier Tracks – damals noch zusammen mit The Elohim produziert – die in ihrer Machart genauso fünf Jahre früher hätten erscheinen können. Parallel startete der vom Unknown Writer (hinter dem sich natürlich niemand anderes als Mad Mike verbarg) propagierte Angriff auf die Corporate Music Computer Systems. Mittels der Musik u. a. von Scan 7 sollten virtuelle Viren in die Computersysteme der reaktionären Musikindustrie geschleust werden, um so den totalen Zusammenbruch der volksverdummenden Popmusik herbeizuführen, die vom Big Brother als Mittel zur Kontrolle der Menschheit benutzt wurde.
„All major record companies – your systems are infected – system failure 01.01.94 – You have been warned!“
Der Scan7-Großangriff auf die Industrie nahm seine Fortsetzung mit der „Undetectable EP“ (UR-031). Eine von Lou im Alleingang produzierte 12″ mit drei Tracks, von denen eigentlich nur der B2-Track „Voiceprint“ wirklich Angriffslust demonstrierte. Die übrigen beiden Tracks waren wieder sehr deep und jazzy, mit fast schon fröhlich anmutenden Akkordfolgen. Was aber, gemäß dem Titel, augenscheinlich nur als Tarnung gedacht war, denn auf dem Innenlabel dokumentierte Mad Mike die Unterwanderungserfolge der Scan 7 Ninja Squad. Im „Brothers In Arms“-Verbund mit den Elektro-Spezialisten von Drexciya sollten die Scan 7 Ninjas ins feindliche Datennetz gebeamt werden: „Trackmaster Lou’s mission is to infiltrate the central broadcast facility and knock out the mind control beam which telecasts the programmer’s agenda daily to millions of uninformed humans worldwide.“ Yeop.
So geschehen, und die geheimen Agenten von UR treiben wohl weiterhin ihr Unwesen in den weltweiten Datennetzen, um unseren Planeten vor dem Untergang zu retten. Komischerweise wird der ideologische Überbau vom Interpreten selbst nicht ganz so ernst genommen. Lou: „Na ja – ich stehe natürlich dazu, aber man entwickelt sich schließlich auch weiter. Das Ninja-Thema ist erst mal gestorben. Aber Scan 7 macht natürlich weiter!“ Neben den UR-Releases war Lou immer auch auf anderen Labels aktiv, wie seine Veröffentlichungen auf 430 West, FFRR und Makin Madd Records belegen. Darüber hinaus fand der Output seiner diversen Projekte den Weg auf zahlreiche Compilations: Neben den Kopplungen des Submerge-Umfeldes oder z. B. jüngst auf die DJ-Mix-CDs von Jeff Mills und Takkyu Ishino auf Sony/S3 steuerte er Anfang des Jahres zu der von Blake Baxter zusammengestellten 313-Compilation auf Tresor ebenfalls drei Tracks bei. Wiederum die sprichwörtliche Old-School-Techno-Atmosphäre, die auch den hier vertretenen Alter-Egos Black Man und XZILE eigen ist.
„Meinen Sound zu kategorisieren ist gar nicht so leicht. Ich würde sagen, er liegt eigentlich genau auf der Schnittkante zwischen Techno und House. Die Tracks passen in einen House-Kontext genauso wie in ein Techno-Set. Selbst ein eher tranciges Publikum dürfte mit diesem Sound kaum Probleme haben. Der XZILE-Sound ist sehr moody und deep, teils mit sehr vielen Strings, genauso wie mein Projekt The Specialist, das ich mal hatte: Viele Strings, sehr trancy und moody. Dagegen ist The Shadow z. B. recht hart.“
Und genau in diese Richtung bewegt sich auch das neue Album „Dark Territory“ auf Tresor. Den Kontakt zu dem Berliner Label für traditionellen Techno-Sound hat übrigens ein weiteres Mal Mr. Blake Baxter hergestellt. Wie es inzwischen schon symptomatisch für die Situation von Techno in den USA ist, sieht auch Lou den Markt für seine Sachen ganz klar in Europa: „Das europäische Publikum weiß unseren Sound einfach mehr zu würdigen als die Leute hier. Hier kommt die ‚Town Crowd‘, wie wir sie nennen, auf unseren Sound nicht klar. Sie sind auf einem ganz anderen Trip. Ich kann natürlich nicht für alle sprechen, aber ich weiß das europäische Publikum echt zu schätzen, denn sie interessieren sich wirklich für unsere Musik.“
This man cares for his audience, das macht er immer wieder klar: „Mein Publikum und die Leute, die meine Platten kaufen und hören, sind die, die mich am Leben halten. Ich möchte sie glücklich machen. Das sind die Menschen, die mich überhaupt bei der Arbeit halten.“ Da hat man auch schon von anderen Künstlerattitüden gehört … Trackmaster Lou weiß, woher er kommt. Angesprochen auf die Vorbilder und Menschen, die seine Musik beeinflusst haben, fallen ganz klar die Namen Juan Atkins und Rhythim Is Rhythim, genauso wie Mad Mike und Suburban Knight. Aber auch Credits an Carl Craig und Joey Beltram fehlen nicht in dieser Aufzählung. Als DJ – und damit fängt er übrigens gerade erst an – interessiert ihn natürlich genauso der Stuff aus Europa. Die Namen The Surgeon, Laurent Garnier und EyeQ fallen in diesem Zusammenhang; nicht unbedingt die naheliegendste Zusammenstellung.
Wer Scan 7s musikalisches Talent überprüfen möchte, sollte dies bei seinem ersten Deutschlandbesuch Ende des Jahres tun, bei dem er übrigens vor allem live spielen wird. Mehrere Gigs sind geplant, davon natürlich mindestens einer im Berliner Tresor. Selbstredend.
wordz by The Mind Controller D-Weird
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ENGLISH
Picture by Marie Staggat
And once again, we open a new chapter in the seemingly endless history of Detroit techno producers, which, in reality, isn’t as new as it might appear to some. What surprises attentive music enthusiasts the most are those small links and cross-connections that one wouldn’t initially expect.
The fact that Trackmaster Lou, aka Scan 7, produced chart hits with the disco-funk band Was (Not Was) in the mid-1980s – we might remember “Walk The Dinosaur”? – is certainly not something I would have expected in this context. Considering his later output on Underground Resistance and especially his current album on Tresor, it’s a bit hard to believe. Speaking of cross-references: Following the Was (Not Was) episode, a project called „Separate Minds“ emerged in 1988, involving two individuals named MK and Terrence Parker. Detroit at the height of the first techno revolution, of course. However, after releasing an EP on the Detroit label Express Records, the three parted ways again.
Mark Kinchen went on to produce typical Detroit techno and later achieved short-lived global fame in the house-pop sector with the Nightcrawlers, while Terrence Parker made a name for himself with his own label Intangible and as a whirlwind house DJ in the style of Jeff Mills. For Leslie Robinson, aka Trackmaster Lou, however, making music remained a side activity. Even today, he earns his living as a chef.
In the early 1990s, Lou turned to deeper, moodier techno-house sounds and eventually founded his own label, „Direct Hit.“ A distributor was quickly found: Submerge remains the crew with the greatest influence in Motor City. But Mastermind Mad Mike Banks also quickly showed interest in Lou’s sound. The result was the first Scan 7 EP on the Underground Resistance label (UR-027). Four tracks – at the time still co-produced with The Elohim – that could just as easily have been released five years earlier. In parallel, the assault on corporate music computer systems, propagated by the Unknown Writer (who, of course, was none other than Mad Mike), began. The goal was to use music, including that of Scan 7, to inject virtual viruses into the computer systems of the reactionary music industry, thus causing the total collapse of the brain-numbing pop music used by Big Brother as a means of controlling humanity.
„All major record companies – your systems are infected – system failure 01.01.94 – You have been warned!“
The large-scale Scan 7 attack on the industry continued with the “Undetectable EP” (UR-031), a 12-inch produced by Lou alone, featuring three tracks. Of these, only the B2 track „Voiceprint“ truly displayed combative energy. The other two tracks were again very deep and jazzy, with almost cheerful-sounding chord progressions. However, as the title suggests, this was apparently just a disguise, as the inner label documented Mad Mike’s records of the Scan 7 Ninja Squad’s infiltration successes. In a „Brothers In Arms“ alliance with Drexciya’s electro specialists, the Scan 7 Ninjas were to be beamed into the enemy’s data network: „Trackmaster Lou’s mission is to infiltrate the central broadcast facility and knock out the mind control beam which telecasts the programmer’s agenda daily to millions of uninformed humans worldwide.“ Yep.
And so it happened, with the secret agents of UR presumably continuing their activities in global data networks to save our planet from destruction. Strangely enough, the ideological framework is not taken quite so seriously by the artist himself. Lou: “Well, yeah – I stand by it, of course, but you evolve over time. The ninja theme is done for now. But Scan 7 will definitely continue!“ Besides the UR releases, Lou has always been active on other labels, as evidenced by his releases on 430 West, FFRR, and Makin Madd Records. Furthermore, the output of his various projects has made its way onto numerous compilations: Besides the compilations from the Submerge sphere or, more recently, DJ mix CDs by Jeff Mills and Takkyu Ishino on Sony/S3, he contributed three tracks earlier this year to the 313 Compilation curated by Blake Baxter on Tresor. Once again, the proverbial old-school techno atmosphere, which also characterizes the alter egos Black Man and XZILE featured here.
„Categorizing my sound isn’t so easy. I’d say it lies right on the cutting edge between techno and house. The tracks fit into a house context just as well as a techno set. Even a more trance-oriented audience should have no trouble with this sound. The XZILE sound is very moody and deep, sometimes with a lot of strings, just like my project The Specialist, which I once had: lots of strings, very trancey and moody. In contrast, The Shadow is quite hard, for example.“
And this is exactly the direction of the new album Dark Territory on Tresor. The connection to the Berlin label for traditional techno sound was once again made by Mr. Blake Baxter. As has become symptomatic of the situation for techno in the USA, Lou also sees the market for his music clearly in Europe: “The European audience simply appreciates our sound more than people here. Here, the ‘Town Crowd,’ as we call them, doesn’t get our sound. They’re on a completely different trip. I can’t speak for everyone, of course, but I really appreciate the European audience because they genuinely care about our music.“
This man cares for his audience, and he makes that clear time and again: “My audience and the people who buy and listen to my records are the ones who keep me alive. I want to make them happy. They’re the people who keep me working in the first place.“ You’ve heard different artist attitudes before … Trackmaster Lou knows where he comes from. Asked about the role models and people who influenced his music, he mentions names like Juan Atkins and Rhythim Is Rhythim, as well as Mad Mike and Suburban Knight. Credits for Carl Craig and Joey Beltram are also not missing from this list. As a DJ – something he’s only just starting out with – he’s naturally interested in European stuff as well. Names like The Surgeon, Laurent Garnier, and EyeQ come up in this context; not necessarily the most obvious combination.
Anyone wanting to check out Scan 7’s musical talents should do so during his first visit to Germany at the end of the year, where he will primarily perform live. Several gigs are planned, including at least one at Berlin’s Tresor. Of course.
wordz by The Mind Controller D-Weird